Mathematik besteht eben nicht nur aus Zahlen, Formeln, Termen und Gleichungen, sondern hat, man glaubt es kaum, auch schon mal ganz handfeste, reale Hintergründe. Für den Themenbereich „Strahlensätze und zentrische Streckungen“ lassen sich solche Bezüge sehr leicht herstellen und eröffnen einen völlig neuen Blick nicht nur auf mathematische Fragestellungen.
In den „De Re Metallica Libri XII“, den „Zwölf Büchern vom Berg- und Hüttenwesen“ des deutschen Universalgelehrten und Begründers der modernen Montanwissenschaften Georg Agricola, die 1556 veröffentlicht wurden, finden sich Beschreibungen von bergmännischen Vermessungsarbeiten, sogenannten Markscheidearbeiten, die auf den Strahlensätzen beruhen. Konkret ging es um die Frage, wie tief ein Schacht bzw. wie lang ein Stollen vorgetrieben werden muss, damit beide durchschlägig werden, d.h. aufeinander treffen.
Die im Buch beschriebene Vermessungsmethode sollte von den Schülern der Klasse 9b zusammen mit ihrem Mathe- und Klassenlehrer, Herrn Mockenhaupt, an „Originalschauplätzen“ nachvollzogen und durchgeführt werden. Die Vorbereitung dazu erfolgt im Mathematikunterricht, wobei der Originaltext durchaus seine Tücken hatte. Die Sprache des 16. Jahrhunderts ist für heutige Ohren sehr gewöhnungsbedürftig, die Formulierungen sind sehr langatmig, sie scheinen nicht auf den Punkt zu kommen, Begriffe werden ohne Stringenz ein mal so, das andere mal anders verwendet, Angaben widersprechen sich....und das merkwürdigste: ein mathematischer Text, der sich um konkrete Berechnungen dreht, enthält nicht eine einzige Formel, nicht eine einzige! Man sieht schon, hier stand nicht nur Mathematik auf dem Stundenplan, sondern auch eine gehörige Prise (Mathematik-)Geschichte gepaart mit technischen und handwerklichen Fertigkeiten und Vorstellungsvermögen.
Nach dem theoretischen und planerischen Teil im Unterricht ging es dann in das Grubengelände an der Martinshardt oberhalb der Feriensiedlung in Müsen. Ausgestattet mit allerhand Material und Werkzeug, Bollerwagen und Proviant bekam jeder Gruppe einen eigenen Schacht und zugehörigen Stollen zugewiesen, so dass sich die Vermessungstrupps über den gesamten Berghang verteilten. Ziel war es, die Schachtteufe (= -tiefe) und Stollenlänge der jeweiligen Gruben zu ermitteln. Trotz guter Planung und Vorbereitung erwies sich das Vermessen jedoch als nicht ganz einfache Aufgabe. Wie spannt man etwa ein Seil von 100m Länge quer durch den Wald und Fichtenschonungen? Wie zieht man das Seil stramm, ohne die ganze Konstruktion damit gleich „mit abzubauen“? Wie genau stellt man das Joch, die Holzkonstruktion auf, wenn der Schacht nicht so schön eben ist wie auf dem Bild? Dieser Mathematikunterricht forderte den Schülern der 9b wirklich einiges ab – nicht nur Rechnen.
Außer den grauen Wolken am Himmel war es ein gelungene Exkursion in die Praxis, die in dieser Art gerne wiederholt werden darf.