Das Stift Keppel im Kreise Siegen.

In dem freundlichen Thale der Ferndorf, nahe bei Hilchenbach, liegt das um 1239 gegründete ehemalige Prämonstratenserinnen=Kloster, spätere Damenstift Keppel. Umgeben von duftigen Wiesen und schattigen Wäldern gilt Keppel als ein landschaftlicher bevorzugter Punct. Kein Wunder, daß man in neuer Zeit auf den Gedanken kam, die an verschiedene Private vermietheten Stiftsgebäude für einen allgemeinen Zweck nutzbar zu machen. Da in Keppel […] eine Mädchenschule für Haus und Küche bestand, so lag die Frage nahe, ob es nicht angemessen sei, eine den heutigen Anforderungen entsprechende Lehr= und Erziehungs=Anstalt daselbst wieder zu errichten und die Gebäude ihrem ursprünglichen Zwecke zurückzugeben. Nach Bejahung dieser Frage an zuständiger höchster und hoher Stelle, sind nun die Stiftsgebäude reparirt und wohnlich bestens ausgestattet worden. Unter der bewährten Leitung der Stiftsoberin, Fräulein von Monbart und vier, als Lehrerinnen ausgebildeten und geprüften Stiftsdamen, soll die Eröffnung der Lehr= und Erziehungs=Anstalt schon in der nächsten Zeit erfolgen. Der vorliegende Prospect sagt: „Zweck dieser Anstalt ist: Töchtern gebildeter Eltern von 10-16 Jahren eine evangelisch-christliche, wissenschaftlich gediegene, den Anforderungen der feinen Gesellschaft und dem weiblichen Berufe entsprechende Erziehung, resp[ektive] Fortbildung zu gewähren. Unterrichts=Gegenstände sind außer den Elementarfächern: Religion, Geschichte, Geographie, Naturlehre, deutsche Literatur, französische und englische Sprache, Zeichnen, Musik und Handarbeiten. Die fremden Sprachen werden auch durch Conversation mit Hülfe von Ausländerinnen geübt. Die Anstalt wird von einem aus Sachverständigen gebildeteten Curatorium unterstützt, an dessen Spitze der Kreislandrath Freiherr von Dörnberg in Siegen steht und worin auch der Director des Königlichen Lehrer=Seminars in Hilchenbach seinen Platz hat. 

Töchter von Officieren und höheren Civil= und Militair=Beamten, welche sich dem Lehrfache widmen wollen, sollen gegen ermäßigten Preis Aufnahme finden. Mädchen katholischer Confession können auch aufgenommen werden; ein Zugeständniß besonderer katholischer Lehrer kann aber nicht erfolgen. – Aerzte und Apotheke sind in der Stadt Hilchenbach und dem Orte Dahlbruch, beide in der Nähe des Stifts Keppel vorhanden.“ Aufnahme=Gesuche würden an die Stiftsoberin, Fräulein Nanny von Monbart in Keppel, Eisenbahn=Station Kreuzthal, Kreises Siegen, bald zu richten sein und wird diese Dame nähere Mittheilung über den festzusetzenden Pensionspreis p. p. bereitwilligst machen.

Bevor aufgelöst wird, was es mit diesem Text auf sich hat, seien ein paar kurze Anmerkungen vorausgeschickt.

Die Ursprünge von Stift Keppel liegen mindestens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es schloss sich eine überaus wechselvolle Geschichte an. Das heutige, öffentliche Gymnasium für Jungen und Mädchen hat mittlerweile selbst eine über 150 Jahre währende Tradition und geht auf eine Gründung im Jahr 1871 zurück. Das von Frau Schwarz geleitete Stiftsmuseum sowie der vor wenigen Monaten erstmalig der Öffentlichkeit präsentierte Film „Eispalast und Seufzerbrücke“ machen die früheren Zeiten auf eindrucksvolle Weise erlebbar. Aufgrund seiner Historie verfügt Stift Keppel aber auch über ein eigenes Archiv, das vielfältige Unterlagen bereithält. Sie reichen von Akten, die über die umfangreichen Ländereien des Stifts informieren, über Aufzeichnungen über die Wahlen der Äbtissinnen oder sonstige Personalsachen, über Lage- und Baupläne, die die Entwicklung der Stiftsgebäude nachverfolgen lassen, bis hin zu Lehrplänen und Unterrichtsinhalten der verschiedenen schulischen Einrichtungen. Die archivalischen Materialien umfassen die letzten vierhundert Jahre, bilden vor allem aber das 19. und 20. Jahrhundert ab. Die noch älteren Bestände befinden sich größtenteils im Staatsarchiv Münster. Das Archiv vor Ort in Keppel ist vor allem mit zwei Namen verbunden – mit dem von Prof. Dr. Wilhelm Hartnack und dem von Dr. Erwin Isenberg. Prof. Hartnack war es, der die Bestände systematisch ordnete und das Schriftgut auf 280 Fächer verteilte. Er schuf damit die Voraussetzung für eine zielgerichtete Auswertung der archivalischen Quellen. Nach ihm war es dann Dr. Isenberg, der die inhaltiche Erschließung vertiefte und in den vergangenen Jahrzehnten in unzähligen Veröffentlichungen das Quellenmaterial einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Seinen Untersuchungen kommt das größte Verdienst hinsichtlich dessen zu, was wir heute über die Geschichte von Stift Keppel wissen.

Um einen kleinen Eindruck von der Vielfalt des Schriftguts zu vermitteln und um an die traditionsreiche Geschichte von Stift Keppel zu erinnern, soll an dieser Stelle nun in regelmäßigen Abständen ein ‚Blick ins Archiv‘ gerichtet werden. Es handelt sich dabei um Momentaufnahmen, die aus früheren Zeiten stammen und exemplarisch die Entwicklung unserer Schule und ihrer Vorgeschichte veranschaulichen. Dr. Galle freut sich über interessierte Schülerinnen und Schüler, die mit ihm gemeinsam die Beiträge verfassen wollen. Eine Kenntnis älterer Druck- oder Schreibschriften ist dafür nicht zwingend erforderlich. Wer aber daran Interesse hat, kann gerne vorab oder parallel die Sütterlin-AG von Herrn Schäfer besuchen.

Nun aber, nach den allgemeinen Vorbemerkungen, die Auflösung, was es mit dem oberen Text auf sich hat: Als Auftakt und erste Momentaufnahme bietet er sich wie kaum ein anderer an. Es handelt sich nämlich um eine Anzeige, die am 21. August 1871 in der ‚Kölnischen Zeitung‘ erschien. Keine drei Wochen später, am 10. September, wurde die ‚Keppelsche Schul- und Erziehungsanstalt‘ eröffnet. Es handelte sich um eine Ausbildungsstätte für Töchter aus höherem Hause. Die Schirmherrschaft übernahm Elisabeth Ludovika, die als Gemahlin Friedrich Wilhelms IV preußische Königin war. Sie war es auch, die die im Anzeigentext genannte Nanny von Mombart zur Stiftsoberin der neugegründeten Anstalt ernannte. Die Zeitungsannonce sollte nicht nur auf die beabsichtigte und in Kürze stattfindende Eröffnung aufmerksam machen, sondern diente zugleich als Werbung, die sich an ‚gebildete Eltern‘ richtete, wie es oben heißt, sowie an Offiziere und die höhere Beamtenschaft, die für ihre Töchter eine solide und standesgemäße Ausbildungsstätte suchten. Überzeugt werden sollten sie u.a. durch folgende Argumente: die idyllische Lage Keppels fernab einer Großstadt mit ihren schädlichen Einflüssen; ärztliche Versorgung in fußläufiger Entfernung; ein breites Fächerangebot mit fremdsprachlichem Unterricht, der, da zuweilen übernommen von Muttersprachlerinnen, eine besondere Qualität versprach. Weil es sich um eine Ausbildungsstätte handelte, die vom evangelischen Geist geprägt sein sollte, bedurfte es für die Leserschaft der ‚Kölnischen Zeitung‘ im katholisch geprägten Rheinland einer zusätzlichen Anmerkung: Anmeldung und Aufnahme von Töchtern aus katholischem Hause seien durchaus möglich, dass sie aber auch von Lehrern ihrer Konfession unterrichtet würden – das konnte und wollte man dann doch nicht gewährleisten. 

Die im September 1871 dann eröffnete ‚Schul- und Erziehungsanstalt‘ wies übrigens zunächst fünfzehn Schülerinnen auf, von denen vier im Pensionat wohnten. Ein halbes Jahr später, an Ostern, hatte sich die Anzahl auf 35 Schülerinnen bereits mehr als verdoppelt. An Ostern 1893 zählte die Einrichtung erstmals mehr als hundert Schülerinnen, von denen die Mehrheit (63) im Pensionat wohnte. 

Groß Zeitungsartikel 1871